X. CRASHKURS ZIVILPROZESSRECHT

Infos und Tipps aus erster Hand

Annika Sonderegger
Rechtsanwältin & Notarin

Vera Eberle
Rechtsanwältin & Notarin

Der Zivilprozess –
des Anwalts tägliches Brot?

Richtig ist, dass die Prozessführung eine absolute Kernkompetenz der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist. Sei es, weil ein neu zugekaufter Papagei die bestehende Papageienzucht infiziert und dahinraffen lässt (BGE 133 III 257), weil ein Birnbaum den Nachbarschaftsstreit entfacht (BGer 5A_924/2016) oder die Aufteilung einer Transfersumme im Profisport strittig ist (BGer 4A_59/2007). Auch alltäglichere Streitgegenstände wie Ehescheidungen, Forderungen, Kündigungsanfechtungen oder Schadenersatzansprüche halten uns Anwältinnen und Anwälte auf Trab. Dabei ist es gesetzlich festgelegt, dass die berufsmässige Parteivertretung in allen Verfahren den im Anwaltsregister eingetragenen Anwältinnen und Anwälten vorbehalten ist.

Sie beratend zu begleiten und mit Ihnen aussergerichtliche Lösungen zu suchen ist für uns von der Sartorial-Anwaltschaft aber genauso ein zentraler Teil unserer Arbeit.

Oft zeigen sich Vergleichslösungen als der kostengünstigere Weg. Vgl. Sie dazu auch unseren Milestone Nr. 1: Der Anwaltsberuf im Wandel – vom Streitgegner zum Sparringpartner.

 

Der Weg ans (richtige) Gericht

Die meisten Ansprüche können nicht direkt beim Gericht, sondern müssen zunächst bei einer Schlichtungsstelle geltend gemacht werden. Hiervon gibt es nur wenige Ausnahmen, so bspw. im Scheidungsverfahren.

Im Rahmen der Schlichtung versucht ein Friedensrichter bzw. Vermittler die Parteien formlos zu versöhnen. Je nach Ausgangslage sowie Kompetenz des Friedensrichters haben diese – i.d.R. für mehrere Gemeinden zuständigen Schlichtungsstellen bzw. Friedensrichterämter – eine Vergleichsquote von bis zu 80%. Sie tragen damit massgeblich zur Entlastung der notorisch überlasteten Gerichte bei.

Kann keine Einigung erzielt werden, stellt die Schlichtungsbehörde die Klagebewilligung aus. Diese ist das Ticket, um beim zuständigen Gericht eine Klage einzureichen.

Die Zuständigkeit der erstinstanzlichen Kreis- bzw. Bezirksgerichte richtet sich nach sachlichen und örtlichen Gesichtspunkten, welche kantonal uneinheitlich sind. Die Frage, welches Gericht örtlich zuständig ist, kann sich dabei bspw. am Wohnort der beklagten Partei, am Arbeitsort des Klägers oder am Standort des strittigen Objekts orientieren. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich neben der Streitsache auch nach der Verfahrensart oder dem Streitwert. Die Kantone St.Gallen, Zürich, Aargau und Bern führen zudem ein Handelsgericht für Streitigkeiten zwischen Gesellschaften.

 

Kosten und alternative Streitbeilegung

Die prozessuale Durchsetzung eines Anspruchs, also das «Streiten» vor Gericht, ist oftmals kostspielig. Die Gerichtskosten und die dafür vorgesehenen Vorschüsse sowie die bei Unterliegen geschuldete Parteientschädigung an die Gegenseite schnellen gerade bei einem hohen Streitwert in die Höhe. Zu alledem kommt das Kostenrisiko für die eigene Anwältin oder den eigenen Anwalt: Bei tiefen Streitwerten kann es passieren, dass der Fall gewonnen wird, die vom Gericht zugesprochene Parteientschädigung jedoch die Kosten für den eigenen Anwalt oder die eigene Anwältin nicht deckt. Ob sich ein Zivilprozess lohnt, ist also nebst der Rechtslage nicht zuletzt auch eine Frage des Streitwerts. Bei Bedürftigkeit wird allenfalls die unentgeltliche Rechtspflege durch den Staat gewährt. Dies alles kann Ihnen Ihre Anwältin oder Ihr Anwalt im Detail und verständlich erläutern.

Aufgrund der Kosten eines Zivilprozesses wie auch wegen der dadurch oft nachhaltig gestörten Beziehung der betroffenen Parteien sind alternative Streitbeilegungsmethoden zunehmend gefragt: Aussergerichtliche Vergleichsgespräche, die Ausarbeitung einer konstruktiven Lösung unter Anleitung eines unbeteiligten Mediators oder die Vereinbarung einer Schiedsabrede sind einige davon. So einigen sich die Parteien mittels Schiedsabreden auf die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts. Insbesondere in internationalen Verhältnissen oder im Sportrecht gilt das Schiedsverfahren aufgrund von Effizienzvorteilen und hohem Fachwissen gegenüber den staatlichen Gerichten als Standard.

 

Einige (ge)wichtige Grundsätze

Parteirollen
Zunächst sind die Prozessparteien zu bezeichnen. Bereits dies kann in der Praxis bspw. in Erbschaftsangelegenheiten oder unklaren Vertragsverhältnissen Probleme bereiten.

Beweislast
Es gilt der Grundsatz, wonach derjenige den Beweis zu erbringen hat, der etwas für sich beansprucht. Dies gilt im Zivilprozess uneingeschränkt und die Folgen der sogenannten Beweislosigkeit sind streng. Ausfluss hieraus ist das geflügelte Wort «Recht haben ist nicht gleich Recht bekommen». Vorteilhaft sind unterzeichnete Schriftstücke. Schwieriger kann es bei Zeugenaussagen werden. So musste bspw. ein Gericht anhand der widersprüchlichen Aussage einer Praxishilfe als einzigen Beweis feststellen, ob eine fristlose Kündigung im Arbeitsverhältnis rechtzeitig ausgesprochen wurde (BGer 4P.185/2000).

Fristen
Fristen sind zu wahren! Der Zivilprozess ist von Fristen dominiert und würde ohne diese nicht funktionieren. Ein Fristversäumnis bedeutet oft den Verlust des Falles und ist nie gut.

Aktenschluss
Die ZPO sieht klare Regeln vor, bis zu welchem Verfahrensstadium Beweismittel eingereicht und Tatsachen geltend gemacht werden können. Es ist daher von enormer Wichtigkeit, dass Sie Ihre Rechtsvertretung vor Verfahrenseinleitung mit sämtlichen relevanten Unterlagen bedienen. Nach Aktenschluss eingereichte Unterlagen darf das Gericht nicht mehr beachten, auch wenn diese den geltend gemachten Anspruch beweisen würden.

 

Rechtsmittel

Entscheide lassen sich stets mindestens von einer höheren Behörde überprüfen. Mit der Ergreifung des sogenannten Rechtsmittels – wobei zwischen Beschwerde, Berufung und Revision unterschieden wird – wird ein Entscheid oder Urteil bei der nächsten Instanz «angefochten».

 

Nach dem Verfahren ist…

leider manchmal auch vor dem Verfahren. Nachdem ein Gericht den geltend gemachten Anspruch bestätigt hat und ein rechtskräftiges Urteil vorliegt, findet dessen Erfüllung, wie bspw. der Geldfluss, nicht automatisch statt. Zur Durchsetzung des Anspruchs ist manchmal ein weiteres Verfahren notwendig.

 

FAZit

Der Zivilprozess ist ein sehr formelles Verfahren mit gewissen Fallstricken. Vielfach ist es so, dass Versäumnisse und Fehler nicht ohne weiteres wieder gut gemacht werden  können. Es lohnt sich also, hier die Rechtsanwältin oder den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens rechtzeitig beizuziehen.

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