XVIII. AKTIENRECHTSREVISION: MEHR FLEXIBILITÄT AB 2023
WAS SIE ÜBER DAS NEUE AKTIENRECHT WISSEN MÜSSEN
Titus Thoma
Rechtsanwalt & Öffentlicher Notar
Max Wellerdieck
Rechtsanwalt & Öffentlicher Notar
EINLEITUNG
Das neue Aktienrecht tritt am 01.01.2023 in Kraft. Es beinhaltet zahlreiche begrüssenswerte Klarstellungen, neue Spielräume und fortschrittliche Verfahren. Davon können beinahe alle profitieren: Sie als Unternehmer:in, als Mitglied eines Verwaltungsrats (VR), genauso aber auch als Minderheitsaktionär:in. Der Einfachheit halber beziehen wir uns nachfolgend nur auf Aktiengesellschaften (AG). Unsere Ausführungen gelten grundsätzlich auch für die GmbH.
NEUE MÖGLICHKEITEN BEIM KAPITAL
Die ordentliche Kapitalerhöhung kann neu über eine Dauer von sechs Monaten anstatt der bisherigen drei erfolgen. Das erweitert den zeitlichen Spielraum erheblich und erleichtert so die Investorensuche und -gespräche.
Eine weitere Neuigkeit ist das sogenannte Kapitalband (neu Art. 653s OR). Damit erlaubt die Generalversammlung (GV) dem VR innerhalb eines betragsmässigen Rahmens die Auf- und Herabsetzung des Aktienkapitals in Eigenregie. Das Kapitalband ist also ein Instrument, das dem VR situationsgerechtes Agieren für die AG erleichtert.
In diesem Zusammenhang findet sich neu im Gesetz die ausdrückliche Pflicht des VR zur Überwachung der Zahlungsfähigkeit (Liquidität) und Einleitung von Sanierungsmassnahmen bei drohender Zahlungsunfähigkeit.
Lange erwartet wurde die Überarbeitung der sogenannten «beabsichtigten Sachübernahme» bzw. der Offenlegung von grösseren Anschaffungen, welche direkt nach der Gründung oder Kapitalerhöhung geplant sind. Diese sind neu nicht mehr öffentlich zu machen. Ein grosser Gewinn für die Diskretion und das Geschäftsgeheimnis. Entsprechende Statutenbestimmungen können gelöscht werden.
➔ Spielen Sie mit dem Gedanken, Ihre Einzelfirma in eine AG umzuwandeln? Dies wird ab kommendem Jahr wesentlich einfacher.
Detail: Neu kann das Aktienkapital nicht nur in CHF, sondern in folgenden Fremdwährungen eingebracht werden: GBP, EUR, USD und JPY.
WICHTIGES ZUR BESCHLUSSFASSUNG
Eine sehr relevante und längst überfällige Änderung ist die Möglichkeit, Generalversammlungen auf dem schriftlichen oder elektronischen Weg abzuhalten. Dank dem neuen Zirkularbeschluss entfällt das Erfordernis, dass alle Aktionär:innen am gleichen Tag und am gleichen Ort physisch anwesend sind. Mit der nötigen Statutenbestimmung kann die Generalversammlung teilweise oder komplett online durchgeführt werden.
➔ Empfehlung: Passen Sie die Statuten Ihrer AG an. Die Erfahrungen der letzten Zeit haben die Vorteile und oft auch Notwendigkeit der dezentralen Beschlussfassung aufgezeigt. Der Aufwand hierfür ist überschaubar – der Flexibilitätszuwachs spricht für sich.
Neu sind Aktionär:innen bereits ab einer Beteiligung von 5% (bisher 10%) zur Stellung von Traktanden und von Anträgen zu bestehenden Traktanden mit einer eigenen Begründung befugt. Die Traktanden samt Anträgen und Begründung sind in der Einladung zur GV aufzuführen.
➔ Beachte: Aktionär:innen mit einer Beteiligung von 10% (Kapital oder Stimmen) können neuerdings jederzeit schriftlich Auskunft über die Geschäfte der Gesellschaft verlangen. Entsprechende Fragen hat der VR innerhalb von vier Monaten zu beantworten.
Sodann kann die GV neu beschliessen, dass die AG gegen ein VR-Mitglied oder die Revisionsstelle klagen muss. Zirkularbeschlüsse im VR sind neu in elektronischer Form erlaubt. Sie bedürfen der Unterzeichnung der vorsitzenden und protokollführenden Personen.
Detail: Die Auflage der Geschäftsbücher vor der GV entfällt, sofern diese online abrufbar sind – eine weitere Erleichterung für den VR.
SCHLANKHEITSKUR BEI DEN STATUTEN
Neu gehören nicht mehr zwingend in die Statuten: Bestimmungen über die Einberufung der GV, das Stimmrecht der Aktionär:innen sowie zum VR und zur Revision. Die ohnehin bereits sehr umfangreichen Gesetzesbestimmungen regeln diese Punkte wahrlich zur Genüge.
Dem neuen Recht widersprechende Statuten sind bis zum 01.01.2025 anzupassen. Statutenänderungen bedürfen der öffentlichen Beurkundung.
➔ Statutenänderungen oder Gründungen im Hinblick auf das zukünftige Recht können bereits jetzt in Angriff genommen werden. Bitte nehmen Sie frühzeitig Kontakt mit uns auf.
VEREINFACHUNG BEI DER GEWINNVERWENDUNG
Die in der Praxis gelebte Zwischendividende wurde offiziell im Gesetz verankert. Damit kann im laufenden Geschäftsjahr, gestützt auf einen genehmigten Zwischenabschluss, eine Dividende ausgeschüttet werden.
Weitere Flexibilität entsteht durch die Abschaffung der Reservezuweisung bei Ausrichtung der sogenannten Superdividende (Dividende >5%). Dies bringt eine Vereinfachung mit sich und letztlich den Aktionär:innen mehr Geld im Portemonnaie.
WEITERE NEUERUNGEN AB 2023
Neu sind die Mitglieder des VR und der Geschäftsleitung ausdrücklich verpflichtet, den VR unverzüglich
und vollständig über sie betreffende Interessenskonflikte zu informieren.
Eine einmal gewählte Revisionsstelle kann nur aus wichtigen Gründen während ihrer Amtszeit abberufen werden.
Selbst ohne vertragliche Regelung (bspw. dem klassischen Aktionärbindungsvertrag ABV) lässt sich neu in den Statuten vorsehen, dass Streitigkeiten vor ein Schiedsgericht zu tragen sind.
➔ Gelangen Sie für eine Erörterung der Vor- und Nachteile ungeniert an uns.
NUR FÜR BÖRSENKOTIERTE UNTERNEHMEN
Für das vorerwähnte Traktandierungsrecht von Aktionär:innen liegen hier die Grenzwerte bei lediglich 0.5% (statt 5%).
Diverse Pflichten aus der Minder-Initiative von 2013 wurden ins neue Gesetz übertragen: So einerseits insbesondere die Pflicht zur Erstellung eines Vergütungsberichts. Andererseits wurden Geschlechterquoten festgelegt. Der VR soll mit 30% und die Geschäftsleitung mit 20% Frauen besetzt sein. Andernfalls muss sich das Unternehmen im Vergütungsbericht erklären und die Massnahmen zur Verbesserung darlegen.
Im Übrigen sieht das Strafgesetzbuch sodann neue Straftatbestände für Verwaltungsräte in börsenkotierten und Rohstoffunternehmen vor. Letztere werden mit dem neuen Aktienrecht zu mehr Transparenz verpflichtet.
FAZIT UND TO DO
Das neue Aktienrecht bringt viele Erleichterungen und grossen Flexibilitätsgewinn mit sich. Mit Blick auf die ebenfalls per 01.01.2023 in Kraft tretende Erbrechtsrevision (vgl. unser letzter «Milestone XVII. Neues Erbrecht: Mehr Freiheiten ab 2023») stehen spannende Regelungsmöglichkeiten vor der Tür. Obschon kein unmittelbarer Anpassungszwang herrscht, lohnt sich eine rechtzeitige Anpassung der bestehenden Statuten und Reglemente.
Insbesondere die statutarische Zulässigkeit, Generalversammlungen bei Bedarf virtuell abzuhalten, erachten wir als zwingend vorzukehrende Massnahme. Gerne unterstützen wir Sie dabei.
➔ Für Diskussionsstoff ist gesorgt. Wir heissen Sie jederzeit gerne mit einem Barista-Kaffee am Standort Ihrer Wahl willkommen.