XX. ERBVORBEZÜGE UND IHR LANGER ATEM

DAMIT DIE LEBZEITIGE BEGÜNSTIGUNG NICHT ZUR LAST WIRD

Dr. iur. Dean Kradolfer
Fachanwalt SAV Erbrecht

Nicola Lüdi
Rechtsanwalt & Öffentlicher Notar (SG)

EINLEITUNG

Wer einem zukünftigen Erben bereits zu Lebzeiten Vermögen überträgt, möchte ihm in der Regel etwas Gutes tun. Erfolgt die Übertragung ganz oder teilweise unentgeltlich, kann die frühzeitige Begünstigung jedoch im Erbfall aufgrund der Ausgleichungspflicht zur Belastung werden. Die Situation des Ausgleichungspflichtigen verschärft sich noch, wenn die während des Lebens übertragenen Vermögenswerte bis zum Erbfall erheblich an Wert gewonnen haben. Der Nachlass könnte dann unter Umständen nicht ausreichen, um die Erbansprüche der übrigen Erben zu decken. Doch wie können künftige Erblasser und Erben solchen Konflikten vorbeugen?

GRUNDSATZ DER GLEICHBEHANDLUNG

Das Erbrecht stellt folgenden Grundsatz auf: Nachkommen, die von ihren Eltern zu Lebzeiten unentgeltliche Zuwendungen erhalten, die über Gelegenheitsgeschenke hinausgehen, müssen diese später im Rahmen der Erbteilung wieder ausgleichen. Keine Rolle spielt dabei, wie lange diese Zuwendungen zeitlich zurückliegen und ob sie als Schenkung oder Erbvorbezug deklariert sind. Ausgleichen heisst: Die Zuwendungen werden bei der Erbteilung zum reinen Nachlass hinzugerechnet, hieraus ergibt sich die sogenannte Teilungsmasse, aus der die Erbansprüche errechnet werden. Wer Zuwendungen erhalten hat, muss sich diese an seine Erbansprüche anrechnen lassen. Die Frage nach der Ausgleichungspflicht stellt sich immer dann, wenn die lebzeitige Zuwendung ohne gleichwertige Gegenleistung erfolgt. Zur Veranschaulichung sollen nachfolgende

drei Beispiele dienen: Übertragung eines Vermögenswertes zum Verkehrswert («Kauf»), vollständig unentgeltliche Übertragung eines Vermögenswertes («Schenkung») und Übertragung eines Vermögenswertes zu klar unter dem Verkehrswert liegendem Preis («Gemischte Schenkung»).

BEISPIEL 1: KAUF

Urs ist Alleigentümer einer Liegenschaft. Er verkauft die Liegenschaft seinem Sohn Max zum Verkehrswert (=Marktwert) von CHF 1 Mio. Zwanzig Jahre später stirbt Urs und hinter-lässt als Erben Sohn Max und Tochter Lisa. Ein Testament hat Urs nicht erstellt. Sein Nachlass besteht aus Bankguthaben in Höhe von CHF 0.5 Mio. Die Liegenschaft, welche Max seinem Vater vor 20 Jahren abgekauft hat, ist mittlerweile CHF 1.5 Mio. wert.

Reiner Nachlass 500’000
Erbvorbezug 0
Teilungsmasse 500’000
Max Lisa
Erbanspruch 250’000 250’000
Vorbezug 0 0
Restanspruch 250’000 250’000

Da Max seinem Vater für die Liegenschaft vor zwanzig Jahren den vollen Marktwert als Kauf-preis bezahlt hat, liegt keine unentgeltliche Zuwendung vor. Eine Ausgleichungspflicht fällt da-her ausser Betracht. Die nun eingetretene Wertsteigerung kommt somit vollständig Max zugute. Er muss sich bei der Erbteilung nichts anrechnen lassen und der reine Nachlass wird hälftig geteilt.

BEISPIEL 2: SCHENKUNG

Urs überträgt seine Liegenschaft zu Lebzeiten vollkommen unentgeltlich an seinen Sohn Max.

Reiner Nachlass 500’000
Zuwendung 1’500’000
Teilungsmasse 2’000’000
Max Lisa
Erbanspruch 1’000’000 1’000’000
Zuwendung -1’500’000 0
Restanspruch -500’000 1’000’000

Da Max die Liegenschaft geschenkt bekommen hat, muss er die Zuwendung bei der Erbteilung ausgleichen, und zwar zum Verkehrswert im Zeitpunkt des Erbgangs (Todestagsprinzip). Die nun eingetretene Wertsteigerung von CHF 0.5 Mio. hat sich Max daher vollumfänglich als Erbvorbezug anrechnen zu lassen. Da der reine Nachlass von CHF 0.5 Mio. nicht ausreicht, um den Erbanspruch von Lisa zu decken, muss Max eine Ausgleichszahlung in Höhe von CHF 0.5 Mio. leisten, wenn er die Liegenschaft behalten will.

BEISPIEL 3: GEMISCHTE SCHENKUNG

Urs überträgt seine Liegenschaft lebzeitig zum deutlichen Vorzugspreis von CHF 0.4 Mio. (an-statt CHF 1 Mio.) an seinen Sohn Max.

Reiner Nachlass 500’000
Zuwendung 600’000
Anteil Wertsteigerung 300’000
Teilungsmasse 1’400’000
Max Lisa
Erbanspruch  700’000 700’000
Zuwendung -900’000 0
Restanspruch -200’000 700’000

Max hat also die Liegenschaft zu einem CHF 0.6 Mio. unter dem Verkehrswert liegenden Preis erhalten. Wie in Beispiel 2 ist zur Bewertung der ausgleichungspflichtigen Zuwendung der Verkehrswert am Todestag massgeblich. Im selben Verhältnis, wie der Gesamtwert der Liegenschaft im Laufe der Jahre angestiegen ist (nämlich mit dem Faktor 1.5 von CHF 1 Mio. auf CHF 1.5 Mio.) wächst auch der Wert der Zuwendung an (sog. Quotenmethode). Die Zuwendung von CHF 0.6 Mio. wird folglich mit dem Faktor 1.5 multipliziert, womit sich Max in der Erbteilung CHF 0.9 Mio. anrechnen lassen muss. Wie im Beispiel 2 reicht der reine Nach-lass nicht aus, um den Erbanspruch von Lisa zu decken. Max muss Lisa eine Ausgleichszahlung in Höhe von CHF 0.2 Mio. leisten, wenn er die Liegenschaft behalten möchte.

PROBLEMATIK IM ERBFALL

Beispiele 2 und 3 zeigen, dass lebzeitige Zuwendungen Begünstigte wegen der Ausgleichungspflicht in Bedrängnis bringen können, besonders wenn eingetretene Wertsteigerungen zusätzlich auszugleichen sind. Solche Wertsteigerungen sind nicht nur bei Liegenschaften von Bedeutung. Auch Aktien oder Stammanteile können durch Marktmechanismen (Angebot und Nachfrage) und damit unabhängig von Eigenleistungen oder Investitionen deutlich an Wert gewinnen.

LÖSUNGSANSÄTZE

Erblasser haben die Möglichkeit, Erben von der Ausgleichungspflicht zu befreien oder die Ausgleichung auf den Wert im Zeitpunkt der Zuwendung zu beschränken, sodass Wertsteigerungen nicht auszugleichen sind. Der Zustimmung durch die Erben bedarf es hierfür nicht. Allerdings sind solche Anordnungen unbeachtlich, wenn es um die Pflichtteile der Erben geht. Denn für die Berechnung der Pflichtteile werden lebzeitige Zuwendungen zwingend mit dem Verkehrswert im Zeitpunkt des Erbgangs berücksichtigt. Gewährt der Erblasser anstelle einer Zuwendung jedoch ein Darlehen, bleibt dieses nominal bis zum Erbgang bestehen und all-fällige Wertsteigerungen bleiben auch für die Pflichtteilsberechnung unberücksichtigt (Nominalwertprinzip).

Will man sicherstellen, dass der künftige Erbe das zu einem Vorzugspreis übertragene Grundstück oder Unternehmen im Erbfall behalten kann, drängt sich der Abschluss eines öffentlich beurkundeten Erb- bzw. Erbverzichtsvertrags mit allen Beteiligten auf. In diesem Vertrag können Erblasser und Erben verbindlich festlegen, ob und zu welchem Wert lebzeitige Zuwendungen im Erbfall auszugleichen sind. Dadurch erübrigen sich im Erbfall Diskussionen über den Anrechnungswert.

FAZIT UND TO DO
Lebzeitige Zuwendungen können ein sinnvolles Instrument sein, um den Nachkommen eine Kapitalhilfe zu gewähren, die eigene Unternehmensnachfolge aufzugleisen oder den Verbleib einer Liegenschaft im Familienbesitz zu sichern. Unerwünschte Nebenfolgen und Konflikte unter den Erben lassen sich durch den Abschluss eines Erbvertrags verhindern. Lassen Sie sich von uns beraten und teilen Sie uns Ihre individuellen Wünsche mit. Wir finden für Sie die passende Lösung.

Vielen Dank für Ihr Vertrauen
Ihr Sartorial-Team
Arbon, St.Gallen, Weinfelden, Wil, Winterthur

Diesen Artikel weiterempfehlen: